Hier gibt es eine kleine Leseprobe:
Heute ist es mir peinlich.
Im Alter von 19 Jahren (1964) hatte ich „Mein Kampf“ gelesen und wollte von meinem im Lebensalter weit fortgeschrittenen Arbeitskollegen wissen, warum die Menschen nichts gegen Adolf Hitler unternommen hätten. Jeder, der „Mein Kampf“ gelesen habe, hätte doch ahnen können, was dann geschehen ist.
Mein Kollege hat ziemlich unfreundlich reagiert und mich heftig zurechtgewiesen: Ich sei erst nach dem Ende des „Dritten Reiches“ geboren worden und nicht dabei gewesen. Die Menschen hätten Angst gehabt, etwas gegen das Regime zu unternehmen, Angst um ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Familie.
Damals nicht, aber heute ist es mir peinlich, so gefragt zu haben, ohne eigene Erfahrung mit der Situation in der Hitler Diktatur. Heute würde ich mich besser informieren, bevor ich eine solche Frage stellen würde, und bin vorsichtiger dabei geworden, andere Menschen, deren geschichtlicher Hintergrund mir unbekannt ist, anzuklagen.
Sollten mich irgendwann einmal meine Enkelinnen fragen: „Opa, was hast du unternommen, damit in Deutschland eine Demokratie entsteht, die den Namen verdient, und Verstöße gegen die Verfassung bzw. das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beendet werden? Was hast du getan, damit Deutschland wirtschaftlich unabhängig bleibt von Ländern mit einem anderen politischen System, damit wir unsere persönliche Freiheit behalten? Du hast doch gesehen, dass unsere Verfassung nicht eingehalten wurde und Deutschland in wirtschaftliche Abhängigkeit von einer Diktatur geriet! Warum habt du und deine Generation nichts für die Umsetzung unserer Verfassung und den Erhalt der Freiheit getan?“
Diese Fragen wären mir sehr unangenehm!
Sie, sehr geehrte Leserin, und Sie, sehr geehrter Leser, und ich, wir haben keinen Grund, um unser Leben zu fürchten, wenn wir uns nachhaltig zu Wort melden und Fehlentwicklungen anprangern.
Vielen von uns sind die Regeln für unser Zusammenleben in unserer Gesellschaft, die in unserer Verfassung stehen, unbekannt. Warum kümmern wir uns so wenig um die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung?